eyes4skies
Astro / BeobachtungsReports

Impressum
Navigation:     Home     Astro-Home     Astro-Visuell-Home             CrossRef         Beob.Reports  

Beobachtungsbericht   07./08.03.2010   (01/2010)
Die Large-Scale Structure am Frühlingshimmel   (LSS II)

    Beobachter: P. Surma
    Datum/Zeit: 07.03.2010, 22:00 - 1:00 MEZ
    Ort: SCHL
    Kollegen:

    Sonne: Untergang 18:18 / Aufgang 6:55 MEZ
    Astronomische Dämmerung: Ende 20:04 / Beginn 5:10 MEZ
    Mond: MA 3:03 MEZ, 46% beleuchtet

    Wetter: tagsüber bestes Winterwetter, wolkenlos, sonnig, leichter winterlicher Dunst
    Temperatur: -6...-10°C
    Atmosphäre: Seeing mässig
    Himmel: 21.0 - 21.3 mag/sas (SQM-L)

    Teleskope: 20" f/4 Dob + 6" f/5 Newton Bigfinder
    Montierung: Dobson (manuell)
    Filter: Astronomik OIII + UHC
    Okulare:
    (Dob /
    Finder )

    f [mm] 31 20 13 9 5 2.5







    AP [mm] 7.8 5 3.3 2.3 1.3 0.65
    V 65x 100x 155x 225x 400x 800x
    Feld 1.25°
    75'
    0.8°
    50'
    0.5°
    30'
    0.36°
    22'
    0.2°
    12'
    0.1°
    6'
    Limit [mag] 15.8 16.5 16.9 17.1 17.0 16.9







    AP [mm] 6.2 4.0 2.6 1.8 1.0 0.5
    V 24x 38x 58x 83x 150x 300x
    Feld 3.4° 2.2° 1.4° 1.0° 0.55°
    33'
    0.27°
    16'
    Limit [mag] 13.6 14.1 14.5 14.7 14.9 14.9


    Objekte: Diffuse Emmisionsnebel (Neb):
          Sharpless Quintet Sh2-255, NGC2174
    Reflektionsnebel (Neb):
          NGC 2163
    Dunkelnebel (DN):
          -
    Galaxien (Gx):
          -
    AGN (Quasare, Seyfert, BL Lac):
          -
    Cluster (GxCl) + Gruppen (GcGrp)
          Coma Cluster , NGC3801+, NGC4005+, NGC3995+ = Arp 313abc
    Planetarische Nebel (PN):
          Medusa = Abell 21, Eskimo = NGC2392
    Planeten + Monde:
          Mars
    Sternhaufen:
          -
    Sterne:
          -
    Anderes:
          -


    Bilder der Objekte: © STScI Digitized Sky Survey.   Alle Daten + Zeiten (in MEZ) aus Guide 8.0.
    Klick auf die Nummer in der Übersicht springt zu dem Objekt. Klick auf das CrossRef -Symbol vor jedem Objekt springt auf eine Seite mit zusätzlichen Links + Infos. Maglimits der Okulartabelle sind gerechnet  für optimale Bedingungen im Zenit und fst 6.5m. Meine subjektiven Highlights der Nacht sind gelb markiert.


Suche nach der LSS unter verschärften (Frühlings?) Bedingungen



















Übersicht

    (1)   Sharpless Quintet Sh 2-255 (BN, Ori)
    (2)   NGC 2174 (BN, Gem)
    (3)   NGC 2163 = Ced 62 (BN, Ori)
    (4)   Medusa-Nebel = Abell 21 (PN, Gem)
    (5)   Eskimo-Nebel = NGC 2392 (PN, Gem)
    (6)   Mars (SOL, Cnc/Gem)
    LSS   Large-Scale Structure (LSS) - Einleitung
    (7)   Coma Cluster = NGC 4884/4874 et al. (GX-CL, Com)
    (8)   NGC 3801 Gruppe (GX-GRP, Leo)
    (9)   NGC 4005 Gruppe (GX-GRP, Leo)
    (10)   NGC 3995 Gruppe = Arp 313abc (GX-GRP, UMa)

Diskussions-Threads zum Bericht

LSS Links

Einführung

    Vorige Woche herrschte noch tolles, warmes Frühlingswetter. Fr/Sa Nacht aber schneite es überraschend - fast 20cm in Heidelberg - und es wurde wieder Winter. Aber zumindest das Wetter ist gut, mit wolkenlosem Himmel und 0°C tagsüber - vielversprechende Aussichten auf - endlich mal ! - die erste Beobachtungsnacht im neuen Jahr 2010 (die letzten Monate waren beobachtungstechnisch ein Totalausfall).

    Gegen 20:20 Uhr breche ich von zuhause auf und bin etwa 1h später in SCHL vor Ort. Der Weg hinaus auf die Felder ist 20cm hoch verschneit, aber eine Fahrspur gibt es zumindest. Ich ahne schon, dass es schwierig wird und tatsächlich ca 300m vor unseren idealen, freien Beobachtungswiesen ist Ende der Fahnenstange: der Schnee ist verweht und zu hoch, ich muss Angst haben stecken zu bleiben, selbst mit Schneeketten könnte es heikel werden ... Gottseidank hatte ich vorsichtshalber den Schneeschieber mitgenommen ! Nach Freischaufeln des Wegrandes zum Wenden, drehe ich (mühsam) um und finde dann weiter vorne am Weg einen geeigneten Platz. Hier springt der Waldrand vom Fahrweg etwas zurück und ich bekomme leidlich genügend Sicht nach Osten und Süden. Den Platz für den Dob lege ich mir auf dem Fahrweg an - intensiver Einsatz des Schneeschieber, noch einmal (urps) ! Durch das Freischaufeln erlange ich echt ein völlig neues und 'frisches' Beobachtungs-Feeling...

    Der Himmel ist leider bei weitem nicht optimal - ich messe anfangs um die 21.1mag/sas, es ist (typisch winterlich) leicht diesig. Ich zweifle noch, ob ich wirklich aufbauen soll, aber sage mir dann: besser als nichts - seit Monaten gab es keine vernünftige Nacht mehr ! ...und vielleicht klart es ja noch auf (das tut es, zumindest etwas, max 21.3mag/sas). Ausserdem ist meine Beobachtungsliste brechend voll mit Objekten (169 TBOs = to be observed).

    Und vor allem will ich heute noch einige Galaxien-Gruppen/Cluster für Die Large-Scale Structure am Frühlingshimmel (meinen Vortrag am DSM 2010) beobachten..

    Wegen des eingangs eher schlechten Himmels beginne ich mit (galaktischen) Nebeln. In 2 Stunden, wenn Leo + Coma aus dem Osten etwas höher gestiegen sind, soll es dann an die Extragalaktik gehen...





Beobachtungen

    (1) Sharpless Quintet Sh 2-255 (BN, Ori)

    CrossRef
                           
    Ich habe gerade noch 21.2mag/sas Himmel gemessen und fange also mit Nebeln an (der Spiegel muss auch noch etwas kühlen, sagt mir das Defokus-Bild). Warum ich gerade mit diesem Objekt anfange, weiss ich auch nicht - wahrscheinlich weil es, am Fuss des Castor, am meisten vom Untergang im SW bedroht scheint.

    Auf jeden Fall ist es letztlich ... annähernd Fehlanzeige ! Die beiden hellsten kreisrunden Nebel sind ganz vage angedeutet. Ich bin mir trotz field sweeping nicht 100%ig sicher, sie zu sehen. Filtern ? Auch OIII verbessert die Sichtung nicht. Ich denke mir, die Dinger sind vielleicht sehr schwach, und ein Problem mag auch meine Dunkeladaption sein, der helle Schnee ist hier sicher nicht besonders hilfreich. Muss nochmal in Reiner's Beobachtungsbericht und seinem Sharpless-Atlas nachsehen...

    (Hab Reiner am DSM gefragt: natürlich muss man für dieses Objekt zum Filtern nehmen, oh Mann ! Mir scheint, ich bin etwas aus der Übung gekommen in den vergangenen (beobachtungs-dürren) Monaten ... next time... !)


    Feldgrösse 30' x 30', © STScI Digitized Sky Survey


    (2) NGC 2174 (BN, Gem)

    CrossRef
                           
    Zum Vergleich schwenke ich hinüber zum 2.5° nördlicheren NGC 2174, den ich früher schonmal beobachtet hatte (in Verbindung mit dem Jellyfish Nebula). Tatsächlich ist NGC 2174 recht deutlich zu sehen, inklusive seiner Form, auch schon ohne Filterung. D.h. also das Sharpless Quintett ist schon relativ schwierig ... :-)

    (PS: oder eben ShQ war falsch gefiltert, s.o.)


    Feldgrösse 60' x 60', © STScI Digitized Sky Survey


    (3) NGC 2163 = Ced 62 (BN, Ori)

    CrossRef
                           
    Nur 1.5° entfernt steht ein weiteres interessantes Objekt, namens Cederblad 62 (vulgo NGC 2163), das vor einiger Zeit ein Kollege bei CN in einem Bericht kurz erwähnt hatte. Man könnte zuerst meinen, es sei ein PN mit bipolarer Ausströmung. Die umgebende, hakenförmige Sterngruppe ist recht charakteristisch und der Kern von Ced62 relativ schnell gefunden. Allerdings ist der Nebel nicht extrem prominent. Der nördliche Kegel scheint mir deutlich heller (oder besser: markanter) zu sein, wodurch das Objekt ein kometenartiges (nicht so deutlich bipolares) Aussehen bekommt. Südlich des Kerns ist ebenfalls Nebelhelligkeit zu sehen, aber eher ein diffuser Halo, nicht so gerichtet wie im Norden und schwächer.

    Kollege Uwe Glahn hat den Nebel sehr treffend gezeichnet. Mein visueller Eindruck stimmt mit seinem recht gut überein, nur der südliche Teil erschien mir etwas diffuser und breiter:


    Zeichnung von Uwe Glahn (16" f/4.5 bei 257x)
    (mit freundlicher Genehmigung von Uwe :-)
    click auf das Bild leitet zu seiner Website weiter)

    Wenn man sich das DSS Foto genau ansieht bemerkt man ja auch, dass die Nordhälfte (oben) höhere FH hat und eine relativ scharfe Kante im Westen (rechts) besitzt ! Daher also der visuelle Kometen-Look (und eher nicht bipolar) im Teleskop. Auf OIII-Filterung reagiert der Nebel nicht besonders gut, bestenfalls der Kern ist deutlicher. Ich probiere noch UHC, aber auch das überzeugt nicht wirklich. Das alles spricht für einen hohen Reflexionsbeitrag im Nebellicht. Ist das also wirklich ein PN oder doch eher ein YSO (young stellar object) ähnlich wie NGC 2261 (Hubble's Variable Nebula) ? Natürlich kann man (ausweichend) immer noch sagen es sei ein 'cometary nebula', aber das hilft der physikalischen Aufklärung ja nicht allzuviel...

    Im Nachhinein fand ich per Google auch noch den VdS Artikel von W. Steinicke. Ansonsten ist über das Objekt allerdings im Web nicht allzuviel herauszufinden (was angesichts der Geschichte in obigem Artikel verständlich ist). Möglicherweise ist der Zentralstern vom Be Typ. Der Nebel wird auch von anderen Beobachtern als Reflexions-Typ charakterisiert (na also, wenigstens hab ich die Differential-Diagnostik richtig gemacht :-).

    PS: Ausserdem habe ich trotz der richtigen Schlussfolgerung Reflexion, wieder vergessen nach Polarisation zu sehen. Und ich hatte mir eigens für solche Fälle kürzlich einen 2" Polfilter zugelegt... Herrgott !


    Feldgrösse 15' x 15', © STScI Digitized Sky Survey


    (4) Medusa-Nebel = Abell 21 (PN, Gem)

    CrossRef
                           
    Kürzlich hat Kollege lots auf a.de vom Medusa-Nebel berichtet. Kannte ich bis dahin auch nicht, also riskieren wir einen Blick. Er befindet sich im Niemandsland zwischen CMi und Gem, ca 8.5° nördlich von Prokyon. Obwohl Guide die Koordinaten des Abell-Nebels kennt, gibt es keine Markierung dort und auch kein eingebundenes DSS Bild. Erstaunlich eigentlich, weil lots berichtet hat, der Nebel sei auch in 8" nicht schwierig.

    Tatsächlich ist der Nebel gut zu detektieren + reagiert auch auf OIII Filterung (PN Anregung). Die Form ist sehr schön zu erkennen, wie ein Halbmond mit deutlicher Innenkante. Details kann ich bei diesem Himmel nicht (so schnell) ausmachen. Aber in jedem Fall, sollte man das Objekt ruhig mal anfahren - auch mit <20".

    Hier findet man einige interessante Infos zur Physik des Objekts.


    Feldgrösse 30' x 30', © STScI Digitized Sky Survey


    (5) Eskimo-Nebel = NGC 2392 (PN, Gem)

    CrossRef
                           
    Der neben dem Weg im tiefen Schnee steckende Schneeschieber und mein eigenes (durchaus voluminöses) Beobachtungs-Outfit heute abend suggerieren irgendwie noch eine weiteres PN-Objekt: probieren wir mal endlich den Eskimo-Nebel ! Eigentlich dachte, ich hätte ihn schonmal beobachtet, aber offenbar nicht ...(zumindest nicht die Details).

    Der Nebel ist sehr flächenhell, auch schon völlig ohne Filter. Der Zentralstern ist ebensfalls hell (11mag) und zeigt zusammen mit dem Nebel den bekannten Blinking Effekt: direkter Blick auf den Zentralstern - Nebel verschwindet; Blick neben den Stern und der Nebel kommt sehr deutlich heraus. Farbe sehe ich keine, aber ich habe gehört man könne das Gesicht des Eskimo sehen ...? Ich vergrössere bis auf 400x, sogar 800x (das Seeing is passabel, der Spiegel ist jetzt auch schon relativ gut gekühlt), dann auch mit OIII Filterung. 100" nördlich des Eskimo steht noch ein 8.3m Stern. Tatsächlich sehe ich bei hoher Vergrösserung, wie der Eskimo mich angrinst: eine helle bogenförmige Kante (='grinsender Mund') zieht sich durch den Nebel, wobei der Scheitel des Bogens dem hellen 8.3m Stern zugewandt ist - stimmt's ?

    Später bei BB-Schreiben am Schreibtisch google ich nochmal: Bingo ! - siehe z.B. dieses Bild mit dem 8.3m Stern unten. Auf dem Bild ist die Kanten zwar durchaus umlaufend , aber wenn man genau schaut oben deutlich diffuser. Das ist wohl der Grund für meinen Eindruck der 'Mund' sei nur unten.

    Tatsächlich sind die Strukturen im Nebel ja überaus reich, wie HST Bilder zeigen (das DSS Bild ist natürlich überbelichtet). Bei bestem Seeing könnte ich mir vorstellen, dass hier noch einiges mehr zu sehen ist ! Und ich bin sicher, die Kollegen von der PN-Front wissen hier einiges dazu zu sagen ... :-)


    Feldgrösse 20' x 20', © STScI Digitized Sky Survey


    (6) Mars (SOL, Cnc/Gem)

    CrossRef
                           
    Da der Spiegel nun ausgekühlt zu sein scheint, wage ich einen Blick auf den Mars. Gibt es Oberflächendetails zu sehen ?

    Ich bin überrascht: das 11" grosse Scheibchen zeigt links (im N) eine (relativ) kleine Polkappe und zwei voneinander deutlich getrennt zu erkennende, grosse Dunkelgebiete, eines im Norden, eines im Süden. Die Details sind nur hin und wieder gut zu erkennen - die Luft wabert leider doch beträchtlich. Am besten erkenne ich die Strukturen bei 400x und mit Neutralfilter (um das Licht zu dämpfen).

    Unten eine (später beim Berichtschreiben) zur Verifikation zeitgenau erstellte Karte aus Guide 8.0 (natürlich mit viel mehr Details als ich am Teleskop erkennen konnte) - die Grobstruktur die ich im Teleskop sah stimmte wohl offensichtlich ... :-)


    Mars (Durchmesser 11.4'', Entfernung 0.82 AE)
    zeitgenaue Karte, jedoch mit sehr viel mehr Detail als visuell erkennbar war !
    (erstellt mit Guide 8.0)


    Oh, es ist schon fast Mitternacht ! - Leo + Coma steht jetzt hoch am Himmel - es wird Zeit sich dem Eigentlichen zuzuwenden, nämlich der ...

.

    Large-Scale Structure (LSS) - Einleitung

    CrossRef
                           
    Auf dem DSM 2010 halte ich am 20.3. einen Vortrag über den Titel dieses Beobachtungsberichts. Hier eine kleine Zusammenfassung des Vortrags zur Einleitung ins Thema LSS:

    Unter Large-Scale Structure versteht man die grossräumige Verteilung von Galaxien im Universum, d.h. auf räumlichen Skalen von 25 Mpc und mehr (das ist also > grob Virgo-Entfernung). Die wichtigsten Strukturen auf dieser Ebene sind das sogenannte Cosmic Web (eine netzartige Struktur entlang derer sich die Galaxien im Raum aufreihen), die Cluster (Galaxienhaufen) und die Voids (bis zu 100 Mpc grosse Leerräume in der Galaxien-Verteilung). Wie kann man die Entstehung dieser Strukturen im Universum verstehen ?

    Der Big Bang erzeugt durch die unvermeidlichen Quantenfluktuationen bei höchsten Energien und Dichten in der allerersten Phase räumliche Dichteschwankungen im Universum. Diese Saat-Fluktuationen erzeugen (nach Vergrösserung durch die Inflation) die Fluktuationen, die man in der 3K-Hintergrundstrahlung (CMB) sieht. Und diese wiederum bilden die ersten sog. Dark Matter Halos (d.h. massive Zusammenballungen der nur gravitativ wechselwirkenden Dark Matter). In diese DM Halos fällt (nachdem sich der 'undurchsichtige Nebel des CMB' gelichtet hat) die 'normale' (baryonische) Materie hinein und bildet Sterne. Und durch Reprozessierung (Supernovae, Metallanreicherung) schliesslich Galaxien. Vorausgesetzt man benutzt den richtigen Typus dunkler Materie, nämlich die sog. CDM = Cold Dark Matter ('cold', weil die Teilchen schwer und daher relativ langsam = kalt sind), dann verschmelzen (Merging) die (anfangs noch kleinen) DM Halos mit den darin befindlichen Galaxien zu (immer) grösseren Einheiten (bottom-up, d.h. klein + klein → gross, Hierarchical Clustering, Gx-Gruppen und Cluster). Schliesslich bilden sich Galaxien-Cluster, die in ihrem Inneren immer massereichere Galaxien beheimaten (sog. cD oder BCD Galaxien) und ihre Umgebung mehr und mehr kannibalisieren. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist etwa der Cluster um das Monster NGC 6166.

    Moderne Computer-Simulationen wie die Millennium-Simulation von Springel et al 2005 zeigen (rechts das Titelbild von Nature Bd.435, 2005 © Nature Pub. Group), dass man die beobachtete Struktur der LSS heute im Computer ziemlich gut 'verstehen' kann, wenn man die Anfangsbedingungen an die am CMB (3K-Strahlung) gemessenen Parameter (Stärke und Grösse der initialen Fluktuationen etc.) anpasst, d.h. ein Standard-Universum mit 70% Dunkler Energie, 26% CDM und 4% Baryonen (heutige Zusammensetzung bei z = 0) annimmt.

    Wie aber sieht die LSS in unserer Umgebung in der Realität wirklich aus ?

    Pionierarbeiten auf dem Gebiet der LSS Beobachtung gab es seit Mitte der 1970er Jahre (u.a. Gregory + Thompson 1978 (GT78), L'Apparent, Geller + Huchra 1986 (AGH86)). Vor allem AGH86 haben in Ihrem Paper 'A Slice of the Universe' die oben genannten Strukturen (cosmic web, cluster, voids) in der Umgebung des Coma-Clusters eingehend qualitativ + quantitativ untersucht. Ihre zentrale Grafik zeigt ein sog. Wedge Diagram, also einen tortenstück-artigen Schnitt durch den 3D-Raum in der Nähe des Coma Clusters. Als Azimut-Achse ist die Rektaszension am Himmel aufgetragen. Die radiale Entfernung wurde durch spektroskopische Messungen der Redshift v (rechte Skala in km/sec) bestimmt (Umrechnung auf Entfernung d mit der Hubble-Konstante H0: d = v / H0). Wir als Beobachter bzw. die Milchstrasse liegt bei v = 0 in der unteren Spitze der Grafik. Bekannt ist die AGH86 Grafik vor allem durch den sog. Running Man (als LSS-Struktur) im Zentrum: der Coma Cluster (Körper des Mannes bei α = 13h und v = 6800 km/sec) ist offensichtlich ein naher, grosser Cluster mit web-artigen Fortsätzen nach Osten und Westen (= Arme, bei etwa gleicher Redshift oder Entfernung), aber auch mit zwei Ausläufern in Richtung auf unsere Galaxis zu (Beine), die von einigen interessanten Galaxien-Gruppen markiert werden. Man beachte auch die offensichtlichen Leerräume (Voids) !


    LSS Galaxien-Verteilung in der Umgebung des Coma-Clusters (Wedge Diagram)
    Quelle: L'Apparent, Geller + Huchra 1986 (AGH86)
    (Layout + Referenz von mir angepasst)


    Um die LSS am Himmel visuell nachzuvollziehen, habe ich mir aus dem GT78 Paper als repräsentativen Ausschnitt die wichtigsten Gruppen und Cluster in der Umgebung des Coma Clusters rausgesucht - dieser Ausschnitt erfasst den Körper des Running Man, sowie dessen 'rechten Arm' + 'rechtes Bein'. Die entsprechenden Cluster und Gruppen will ich in den nächsten Monaten nun nacheinander durchbeobachten. Interessierte Kollegen finden auf meiner LSS Projektseite (work in progress) die entsprechenden Objekte mit allen Informationen für die konkrete Nachbeobachtung. Natürlich habe ich es heute Nacht nicht geschafft, alle diese Gruppen/Cluster durchzubeobachten, aber einige der interessantesten Objekte sind nun schon dabei (und unten gelb markiert).


    LSS Galaxien-Verteilung in der Umgebung des Coma-Clusters (Wedge Diagram)
    x-Achse = Rektaszension, v auf der linken Skala in Einheiten von 1000km/sec,
    d auf der rechten Skala in Mpc via d = v / H0 (Layout + gelbe Markierungen von mir angepasst)
    Quelle: Gregory + Thompson (1978) (GT78)


    (7) Coma Cluster = NGC 4884/4874 et al. (GX-CL, Com)

    CrossRef
                           
    Ein zumindest kurzer Blick auf den Coma-Cluster muss eigentlich am Anfang der gesamten Beobachtungen stehen. Schliesslich haben sich die wichtigsten historischen Papers auf dem Gebiet der LSS (u.a. GT78, AGH86) mit diesem Cluster und seiner Umgebung intensiv befasst. In meinem LSS Projekt will ich ja von Coma ausgehend die (nähere) LSS im Raum abscannen und mich anhand der Papers an ihren Features entlanghangeln (siehe die Einleitung oben). Hier eine Karte der Umgebung mit den heute beobachteten Gruppen:



    Verteilung der LSS Galaxien und Gruppen um Coma
    Grenzgrössen: Gx 14.5 v-mag, Sterne 8.5mag
    (Karte erstellt mit Guide 8.0, click zum vergrössern !)

    Coma steht (auch dank seiner hohen Deklination) mittlerweile hoch im Südosten und auch der Himmel hat sich jetzt auf ca 21.2...21.3mag/sas verbessert (nicht berauschend, aber es muss eben auch so reichen :-). Beim heutigen Übersichtsblick auf den Cluster fällt mir vor allem auf, wie weitläufig die Galaxien verstreut sind. Ich muss, selbst mit 0.8° Feld mehrere GF hin und herschwenken ... und immer wieder tauchen neue Clustergalaxien auf ! Ich belasse es heute bei diesem Schwenk und hebe mir genaueres Scannen des Clusters für eine spätere, intensive Coma-Nacht auf ...

    Klar ist, dass Coma einer der schönsten Cluster in unserer Umgebung ist. Mit seiner Redshift von ca 6800 km/sec (entspricht grob 6x Virgo-Entfernung) liegt er bei d = 300 Mio ly Entfernung zur Galaxis (H0 = 75km/sec). Aber man bedenke: das bedeutet nur z = 0.02 ! - für Kosmologen ist das allernächste Nachbarschaft ! (Amateur) Quasarbeobachter, deren Lieblinge ja bei bis zu z = 3 liegen, werden also die Nase rümpfen. In Coma sehen wir aber 'normale Galaxien' und eben keine Quasare - letztere erreichen üblicherweise bis Mv = -29mag (gelenste Extremobjekte gar bis -31mag / Achim Strnad - danke für den Hinweis !). Normale Galaxien zu beobachten wird jenseits von v = 10.000 km/sec Redshift selbst mit einem 20" Teleskop schnell schwierig. Tatsächlich braucht man für jeden Faktor 2 in Entfernung einen Faktor 2 an Teleskopdurchmesser. Zur Veranschaulichung: Coma Galaxien sehen in 20" etwa so aus wie Virgo-Galaxien in 3" ! Wollte man die Galaxien in der LSS viel weiter hinaus so sehen wie Virgo-Galaxien in 3'' (was ja nicht wirklich berauscht), so braucht man schnell ein Teleskop mit 40'' = 1m (für v = 15.000 km/sec, d = 650 Mio ly) oder 80'' = 2m (für v = 30.000 km/sec, d = 1.3 Mrd ly).

    So schön 40- und 80-Zoll-Teleskope sind (z.B. das Calar Alto 1.23m oder 2.2m), sie fühlen sich eben schon etwas unhandlich an beim In-den-Keller-Tragen zuhause... :-) Also gebe ich mich erstmal zufrieden mit der LSS in Coma und Umgebung... !


    Feldgrösse 60' x 60', © STScI Digitized Sky Survey


    (8) NGC 3801 Gruppe (GX-GRP, Leo)

    CrossRef
                           
    Die erste neue Gruppe ist die um NGC 3801 (im Zentrum des DSS Bildes), mit den (von GT78 gesicherten) Mitgliedern NGC 3806, 3802, 3790 (ca 1.5° entfernt gibt es noch weitere Mitglieder bei gleicher Redshift, aber die beim nächsten Mal). Die Redshifts der ca 18' grossen Gruppe liegen alle bei ca 3250 km/sec, was d = 45.3Mpc = 150 Mio ly und einem Entfernungsmodul (m-M) = 33.3mag entspricht. NGC 3801 ist visuell m = 12.1mag hell, also absolut ca M = -21.2v-mag, was in der Leuchtkraft grob der Milchstrasse oder Andromeda M31 vergleichbar ist. Die Gruppe liegt von Coma ausgehend im westlichen LSS-Ausläufer ('rechten Bein'), der sich von Coma in Richtung unserer Galaxis hinzieht - und dabei grob auf halber Entfernung zu Coma (siehe die GT78 Grafik oben).

    NGC 3801 et al liegen ca 4° NW von Denebola über dem Hinterleib des Löwen. Im Teleskop sind die 4 Hauptmitglieder bei genügend Vergrösserung (9mm, 225x, 22') alle einwandfrei zu sehen. NGC 3801 ist ellipsenartig (S0), 3806 - wenn man es weiss - eine schwächere (13.8v-mag) face-on Spirale (von deren Struktur ich aber absolut nichts sehen kann :-). 3802 und 3790 sind ebenfalls gut zu sehen und erkennbar edge-on Spiralen.


    Feldgrösse 30' x 30', © STScI Digitized Sky Survey


    (9) NGC 4005 Gruppe (GX-GRP, Leo)

    CrossRef
                           
    Die Gruppe um NGC4005 ist schon aufgrund ihrer charakteristischen Anordnung/Form ein Hingucker. Die Galaxien liegen auf den Seiten eines Dreiecks (28' misst die längste Seite), auf dessen SW-Seite auch noch ein 8mag Stern steht. Das ganze Schauspiel findet grob halbwegs zwischen δ Leo und β Com statt. Der Coma-Cluster steht am Himmel ca 8° entfernt.

    Zur Gruppe gehören nach Redshift-Kriterium (zentriert um v = 4400 km/sec, d = 59 Mpc = 190 Mio ly) folgende Objekte: IC746, NGC 3987, 3993, 3997, 4005, 4015, 4018, 4022, 4023. Sie liegt damit bei etwas höherer Redshift als die beiden anderen Gruppen des heutigen Abends. Auf dem Wedge Diagramm könnte man jetzt spekulieren: ist NGC4005 et al vielleicht (in unsere Richtung) schon ein Fortsatz des Abell 1367 clusters ? (v = 6800km/sec) Man kann einwenden: A1367 ist doch am Himmel doch satte 7° entfernt ?! In der Entfernung von NGC4005 sind das 7 Mpc = 23 Mio ly Distanz tangential und mindestens ca 10 Mpc = 32 Mio ly radial (ablesen aus dem Wedge Diagram oben), macht im 3D-Raum 12 Mpc = 40 Mio ly.

    40 Mio ly klingt nach viel ! - ist ja ähnlich weit wie von uns zum Virgo Cluster ! Aber man muss bei Beobachtung der LSS kosmologisch denken ! Nehmen wir Virgo: auch die Milchstrasse (und natürlich die ganze LG = Lokale Gruppe !) fällt ja 'runter' auf den Virgohaufen, das ist der sog. Virgo Infall. Virgo Infall bedeutet also: zwischen LG und Virgo herrscht kein freier, kosmologischer Hubble-Flow, die LG ist schon 'angekoppelt an Virgo'. In kosmologischen LSS-Dimensionen gedacht, können solche Strukturen - wie hier jetzt NGC4005 Grp und A1367 - also durchaus schon (gravitativ + von der Bewegung her) zusammenhängen , selbst über diese Entfernung - daran muss man sich gedanklich erstmal gewöhnen ! :-)

    Irgendwie verändern solche Überlegungen die Sichtweise auf Galaxien, Gruppen und Cluster !!!

    Zur Beobachtung: interessant ist natürlich schon der Überblick über diese doch relativ grosse (0.5°) Gruppe, aber auch die Teile sind klasse anzusehen: z.B. das Trio NGC 3987, 3993, 3997 an der Westspitze des Gruppen-Dreiecks. Ich fahre mit 9mm die ganze Form ab.. klasse ! ...am deutlichsten kommen dabei meist die edge-ons raus. Diese Gruppe ist ein tolles Objekt - nur gibt es eben leider wenig Chance auf Details in den Galaxien (3-4 x Virgo Entfernung) ! Schauen wir mal beim nächsten Kandidaten, der ist Δv = 1000km/sec näher ...


    Feldgrösse 45' x 45', © STScI Digitized Sky Survey


    (10) NGC 3995 Gruppe = Arp 313abc (GX-GRP, UMa)

    CrossRef
                           
    Das DSS-Bild der NGC3995 et al Gruppe (25' Durchmesser) verspricht beim näheren Hinsehen sofort etwas sehr Interessantes: der Namenspatron NGC 3995 und nur 4' NW davon NGC 3991 - beide sehen reichlich 'pec' aus - wahrscheinlich Starburster (yap, und das sind auch tatsächlich IRAS Galaxien !). Ich schätze die Dinger hat Herr Arp katalogisiert, oder ? ... Recherche bei DSB ... na also: NGC 3995 = Arp 313c und NGC 3991 = Arp 313a. Die Ergänzung des nördlichen Trios (westlich des hellen 6.4mag Sterns) ist NGC 3994 = Arp 313b, sie sieht aber völlig regelmässig aus im DSS. Dazu gesellt sich dann im Süden die ebenfalls sehr schöne edge-on NGC3966. Die (redshift-gesicherten) Mitgleider sind also: NGC 3995, 3994, 3966, 3991, alle um Redshift v = 3400 km/sec, d = 45.3Mpc = 148 Mio ly und Distanzmodul (m-M) = 33.2mag. GT78 beschreiben NGC 4004, 4008, 4016, 4017 als zugehörig zur NGC3995 Gruppe (reine Redshift), aber die sind 4° entfernt am Himmel (ich schau sie mir als NGC 4008 Gruppe das nächste Mal an :-).

    Hier für mehr Detail eine Ansicht von Arp 313 im Arp Atlas.

    Die Beobachtung macht echt Spass. Tatsächlich kann man an 3995 die Strukturen ansatzweise sehen (natürlich nicht so klar + punktiert wie im DSS!). Ich meine, einen Hauch des NO-Auswurfs (als simple Verbreiterung, diffus im NO) zu sehen, die vielen Knoten des DSS schwimmen visuell aber ineinander und ich sehe sie eher als langgestrecktes Etwas (Einzelknoten sehe ich nicht wirklich - ich wünsche mir definitiv besseres Seeing !) Die 3991 zeigt mir einen Helligkeitsgradienten entlang der langgestreckten Struktur - im NO ist es merklich heller. Geul !!! Schön ist dann aber auch die edge-on im Süden, eine Miniausführung von NGC4565... Echter Rock 'n' Roll diese Gruppe !

    Was die LSS-Raumstruktur angeht, liegt NGC 3995 am Himmel deutlich weiter im Norden (δ = +32°, also noch oberhalb des γ - β Com Querbalkens des Coma-Sternbilds). Von der 3801 Gruppe, die im Redshift-Richtung (Wedge Diagram) benachbart scheint, ist sie am Himmel immerhin 15° entfernt, das sind dort oben 12 Mpc = 40 Mio ly - d.h. fast die Entfernung MilkyWay/Virgo liegt zwischen ihnen im Raum.


    Feldgrösse 45' x 45', © STScI Digitized Sky Survey


    Klasse Objekte, aber: ich bin müde, es ist kalt, das war's ! Jetzt noch Einpacken, ich habe ja noch 1h zu fahren. Oh Mann, was ein Wahnsinn. Erst um Viertel nach 2h liege ich endlich im Bett und entschlafe seelig ... im Bewusstsein vieler gross-skaliger Zusammenhänge !

    PS: ... und damit schöne Grüsse an alle Kollegen vom DSM ! :-)

Version: 10.05.2010
Initial: 08.03.2010
© 2010 by P. Surma